von Jürgen Jakob Becker und Martin de Haan
Die Übersetzer sind die großen Unsichtbaren der Literatur. Dass die fremdsprachigen Schriftsteller von Pessoa bis Pamuk in der Regel nicht mit der eigenen, sondern mit der Stimme eines zweiten, unsichtbaren Autors zu uns sprechen, ist zwar eine Selbstverständlichkeit, doch das Bewusstsein für diese Tatsache und ihre kulturelle Tragweite ist erstaunlich schwach entwickelt.
Kulturelle Prägungen scheinen dafür verantwortlich zu sein: Wir sind es gewohnt, Übersetzungen unter negativen Vorzeichen zu sehen, als verlustreiche Annäherung nämlich an ein nie erreichbares Original. Ideal ist nach dieser Denkweise eine Übersetzung, die sich ‘nicht wie eine Übersetzung liest’, sich als Übersetzung also unsichtbar macht, ja auslöscht. Das Verschwinden des Übersetzers hinter seinem Werk ist also vorprogrammiert, dem Übersetzer wird allenfalls die Rolle des bemühten Vermittlers oder des ‘Fährmanns’ zugestanden, der die empfindliche literarische Fracht möglichst unbeschadet von einem Ufer zum anderen bringt.
Doch die Fährmannmetapher unterschlägt den schöpferischen Aspekt des Übersetzens. Der Text, anders geht es nicht, muss interpretiert und in einer anderen Sprachen neu geschaffen werden. Für diese Operation tritt der Übersetzer in einen Dialog mit dem Original und inszeniert den Text in einem fremden sprachlichen Gewand. Dieser Verwandlungsprozess gehört ganz wesentlich zum Übersetzen, ja zum interkulturellen Dialog überhaupt dazu. Am anderen Ufer angekommen, ist die Fracht nicht mehr dieselbe.
Die unsichtbaren Übersetzer: Konsequenzen
Das Urheberrecht würdigt den Übersetzer ganz in diesem Sinne als Schöpfer von Form und Sinn: Die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (in der revidierten Fassung von 1979) stellt ihn an die Seite des Autors: ‘Den gleichen Schutz wie Originalwerke genießen […] die Übersetzungen, Bearbeitungen, musikalischen Arrangements und andere Umarbeitungen eines Werkes der Literatur oder Kunst.’ Übersetzer sind Urheber, ihre Werke sind durch das Urheberrecht geschützt. Genauso wie Autoren haben sie einen Anspruch darauf, als Urheber ihrer Werke öffentlich genannt und gewürdigt zu werden. Das betrifft die namentliche Nennung des Übersetzers im übersetzten Buch ebenso wie das Zitieren von Passagen aus einem übersetzten Werk, und muss natürlich auch dann beachtet werden, wenn in Medien oder auf Werbemitteln auf einen Text hingewiesen wird.
Der Vergleich mit anderen interpretierenden Künstlern wie Schauspielern oder Musikern macht allerdings deutlich, wie weit wir von der selbstverständlichen Anerkennung dieses Anspruchs noch entfernt sind. Niemand käme auf die Idee, einem András Schiff oder einer Juliette Binoche die Anerkennung als Künstler zu versagen – eine enthusiastische Rezension eines gut übersetzten Buches ohne Nennung des Übersetzers oder der Übersetzerin kommt dagegen häufig vor. Übersetzer leiden unter dem Dilemma der Anonymität. Unsichtbare Übersetzer verfügen über eine schlechte Verhandlungsposition, werden dementsprechend schlecht bezahlt. Schlechte Arbeitsbedingungen führen zu schlechter Qualität – und zur Auffassung, dass Unsichtbarkeit und schlechte Honorierung möglicherweise gerechtfertigt sein könnten. Aus diesem Teufelskreis müssen Übersetzer heraustreten können. Der Alltag der Buchbranche zwingt sie allzu häufig in die Rolle der stillen, im Hintergrund wirkenden Dienstleister, macht sie zu bloßen Kostenfaktoren in der Buchproduktion. Das Ziel sind dagegen gut ausgebildete, angemessen bezahlte und als Kulturträger anerkannte und sichtbare Übersetzer. Wir leben in einer Übersetzungskultur, und sollten diese Kultur besser pflegen.
Probleme und Lösungsansätze
Wir brauchen den geschärften Sinn der literarischen Öffentlichkeit für die Spezifika übersetzter Texte. Der Literaturkritik kommt dabei eine herausgehobene Bedeutung zu. Leider ist eine seriös argumentierende Übersetzungskritik eine Seltenheit. Es gibt lange Buchbesprechungen, die sich ausführlich und positiv mit der Sprache eines Buches beschäftigen – ohne dass der Name des Übersetzers erwähnt wird. Oder seine Arbeit wird nur mit einem einzigen, vagen Adjektiv bedacht, ohne sie in einen Argumentationszusammenhang einzubetten. Das mag am fehlenden Willen der Kritiker liegen, ganz offensichtlich fehlt es aber auch am Instrumentarium. Ansätze für Verbesserungen in diesem Bereich wären Weiterbildungsangebote. In Deutschland wurden Textseminare für Übersetzer geöffnet für lernwillige Lektoren und Kritiker – mit ersten Erfolgen. Ein für die Literaturkritik besonders attraktives Feld sind Neuübersetzungen klassischer Werke, denn hier lässt sich das Thema durch die Vergleichsmöglichkeiten besonders gut darstellen. Die Entwicklung einer seriösen Übersetzungskritik wäre ein wichtiges Element einer ausgebildeten Übersetzungskultur. Die ersten Schritte müssten in Schulen und Universitäten geschehen, bzw. überall dort, wo der Umgang mit literarischen Texten überhaupt eingeübt wird.
Sichtbarkeit ist ein legitimer Anspruch, für den die Übersetzer im eigenen Interesse seit Jahrzehnten kämpfen. Das gelingt dort am besten, wo sie sich organisiert haben und den Verlegern gegenüber als Verhandlungspartner auftreten können. In diesen Ländern ist es auch am ehesten gelungen, Übersetzern einen Platz in der öffentlichen Literaturförderung zu verschaffen. Institutionen wie die Niederländische Literaturstiftung oder der Deutsche Übersetzerfonds fördern Übersetzer als künstlerische Individuen, aber sie verkörpern auch das Bekenntnis einer Gesellschaft zur Übersetzungskunst und zu der Bedeutung, die dem Austausch von Ideen und Geschichten, von Fremd- und Selbsterkenntnis insgesamt zugemessen wird. ‘Capacity Building’ in diese Richtung sollte als nationale und europäische Aufgabe begriffen werden.
Gute Beispiele
Die Platzierung des Übersetzernamens in einem Buch kann sehr prominent zum Beispiel auf dem Umschlag geschehen. Innovative Verlage haben damit begonnen, den Angaben zum Autor biografische Informationen zum Übersetzer zur Seite zu stellen. In vielen Ländern sind die Dinge in Bewegung, denn auch auf Verlagsseite wird bemerkt, dass ein guter Übersetzer ein werbender Ausweis für die Qualität eines Buches sein kann. Die Website des CEATL versammelt gelungene Beispiele von Buchtiteln mit Übersetzernennung auf dem Buchumschlag.
Die fehlende Nennung von Übersetzernamen in der bibliografischen Erfassung von Titeln in Bibliothekskatalogen und Bestellsystemen des Buchhandels ist ein oft beklagtes Ärgernis, das häufig eher auf Unwissenheit als auf Absicht beruht. Eine erfolgreiche Intervention bei www.amazon.de (deutsche Version) hat bewirkt, dass man die Übersetzernamen dort routinemäßig erfasst. Aus Frankreich und Belgien kennt man Beispiele, wo auf fehlende Übersetzernennung systematisch und rasch (z.B. durch Mailingaktionen) reagiert wird. Ohne die stete Öffentlichkeitsarbeit der Übersetzer selbst und ihrer Organisationen wird sich wenig bewegen. Eine pragmatische Herangehensweise verspricht hier den größten Erfolg.
Unter dem Namen Weltlesebühne hat in Deutschland eine Gruppe aktiver Übersetzer die Initiative ergriffen, um Übersetzungen zum Gegenstand literarischer Veranstaltungen zu machen. Sie widmen sich der internationalen Literatur und ihren häufig unbekannten Co-Autoren. Die Übersetzer berichten aus ihrer Werkstatt und erkunden gemeinsam mit dem Publikum das weite Feld zwischen den Sprachen und Kulturen. Die Resonanz ist sehr gut, die Veranstaltungen wirken geradezu als Augenöffner für Literaturinteressierte. Die Aktivitäten sollen jetzt um den Bereich Kinder- und Jugendliteratur und um die Zusammenarbeit mit Schulen erweitert werden.
Auch Buchmessen können als Spielfeld für den sichtbaren Übersetzer genutzt werden. Dem Beispiel der Frankfurter Buchmesse folgend haben u.a. die Messen in London, Paris und Turin ‘Übersetzerzentren’ eingerichtet. Diese Zentren werden rasch zum Treffpunkt der Szene, aber eben auch zur sichtbaren Botschaft der wichtigen Rolle der Übersetzer als Literaturvermittler.
Die Schaffung von Übersetzerpreisen gehört zu den nahe liegenden Formen der öffentlichen Anerkennung von Übersetzerleistungen. Besonders attraktiv erscheint die Idee, prominente Literaturpreise um einen Übersetzerpreis zu erweitern, zum Beispiel einen Prix Goncourt oder einen Booker Prize für Übersetzung. Der in Deutschland hoch angesehene Preis der Leipziger Buchmesse, der in den Sparten Belletristik, Sachbuch und Übersetzung vergeben wird, zeigt, dass Übersetzer im Verein mit Autoren an Sichtbarkeit gewinnen können. Andere Preise wie der International IMPAC Dublin Literary Award oder der niederländische Europese Literatuurprijs zeichnen Autoren und Übersetzer gemeinsam aus.
[Die PETRA-Empfehlungen, Brüssel 2012, © Jürgen Jakob Becker und Martin de Haan]